- Do., 08.03. , 09:30 bis 10:30 Uhr
Was ist Arbeit? Sozialhistorische Annäherungen und Diskurse
- Vortrag
Andrea Komlosy, Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien
Der Beitrag greift das Postulat im Titel des Symposions auf: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen". Ein soziales Panorama der heutigen Gesellschaft zeigt, dass es so gut wie niemanden gibt, der nicht arbeitet: Kinder, Alte, Hausfrauen und Arbeitslose, ja selbst Bettler und Diebe arbeiten. Nicht arbeiten, sondern vom Ertrag ihres Vermögens leben allenfalls Unternehmer, Rentiers und Erben. Doch selbst sie, die keine leidvollen, verachteten Tätigkeiten verrichten müssen, arbeiten in der Verwaltung ihrer Geschäfte und sind in Interessensorganisationen, Politik und Ehrenamt tätig. Vor diesem Hintergrund einer vielseitig arbeitenden Gesellschaft wird nach dem Verschwinden der unbezahlten Arbeit aus dem vorherrschenden Arbeitsbegriff gefragt. Ein historischer Rückblick zeigt, wie die breite Akzeptanz von bezahlter und unbezahlter Arbeit, die die häusliche Familienwirtschaft im bäuerlichen und handwerklichen Bereich bis zur Industrialisierung prägte, erlosch. Die Verschiebung der Erwerbsarbeit in Fabriken und Büros entwertete die im Haushalt verbleibende unbezahlte Arbeit - zur natürlichen Bestimmung der Frau. Hausfrau und Mutter-Sein wurde nicht mehr als Arbeit gesehen, sondern als Liebe. Auch Arbeitsgesetzgebung und Arbeitswissenschaften trugen am Ende des 19. Jahrhundert zur Festschreibung eines -geregelten und sozial abgesicherten - Normalarbeitsverhältnisses bei. Wer diesem nicht entsprach, geriet in den Verruf der Nicht-Arbeit, des Nicht-Arbeiten-Wollens. Heute ist die Normalität, die sich im Wohlfahrtsstaat zwischen 1880 und 1980 verbreitet hat, durch Umbrüche in der Technologie, der Unternehmensorganisation und der Weltwirtschaft ins Wanken geraten. Atypische Arbeitsverhältnisse haben auch in den alten Industriestaaten erneut die Oberhand gewonnen. Was liegt näher, als die Gewissheiten, was Arbeit ist, und was sie sein soll, im Lichte historischen und globalen Wandels neu zu überdenken?