- Do., 09.03. , 09:30 bis 11:00 Uhr
Gewalt und Gemeinschaft. Plädoyer für einen relationalen Gewaltbegriff Zum Verhältnis von Verwaltung und Gewalt in Österreich Anschließend Diskussion
- Vortrag
Michael Staudigl, Philosoph, Universität Wien
Wolfgang Gratz, Professor für Kriminologie, Universität Wien
Zum Verhältnis von Verwaltung und Gewalt in Österreich
Der Vortrag beinhaltet folgende Fallbeispiele:
die polizeiliche Reaktion auf die Besetzung der Hainburger Au
die Handhabung der Transitbewegungen von Flüchtenden im Herbst und Winter 2015/16
Vorkommnisse im Strafvollzug
Umgang mit Zielkonflikten in den Bereichen Asylrecht, Sozialrecht und Jugendwohlfahrt in einer BezirksverwaltungsbehördeDaraus werden folgende Thesen abgeleitet:
Je mehr man staatliche Organe Formen von Distress (Dysbalance von Anforderungen und Ressourcen) aussetzt, desto weniger wahrscheinlich wird der gesetzeskonforme sowie ein die Grundrechte wahrender Umgang mit GewaltJe mehr öffentliche Beobachtung und öffentliche Kontrolle stattfinden, desto kontrollierter wird die Anwendung von behördlicher Gewalt
Je mehr staatliche Institutionen Wege von Monitoring, Diskurs mit der Zivilgesellschaft und den Wissenschaften sowie der Selbstbeobachtung und Selbstvergewisserung eingerichtet (bekommen) haben, desto gereifter wird der Umgang mit Gewalt.
Leitbilder, prägnante Ausformulierungen der Mission und andere Formen der Sinnstiftung werden nur dann wirksam, wenn sie die Organisationskultur beeinflussen. Dazu braucht es eindeutige Signale und prägnante Entscheidungen der Führungskräfte, insbesondere in Krisen- und Konfliktsituationen. Auch die Gewerkschaft und die Personalvertretungen spielen hierbei eine wichtige Rolle.
Je weniger klar die Hauptsache (primary task) ist, desto wahrscheinlicher werden Formen institutioneller Regression (Grundhaltungen wie Kampf-Flucht oder Abhängigkeit)
Gewaltarme Verwaltung braucht wohlüberlegte und mit ruhiger Hand erarbeitete Gesetze wie offene und relativ angstfreie Rückkoppelungsprozesse zwischen Verwaltung und Gesetzgebung
Je ausgeprägter Verwaltungsorgane über sozialkommunikative Kompetenzen und eine respektvolle Grundhaltung verfügen, desto eher werden konfrontative Situationen so aufgelöst, dass sich Gewaltanwendungen erübrigt
Symbole der Gewalt und Mittel der Gewalt können als politische Handelsware dienen.
Vor allem im Bereich der Polizei wurden in den letzten Jahrzehnten Schichten von menschlichen Firnis aufgetragen. Wie widerstandsfähig diese gegenüber rechtspolitischen sind bzw. ab wann sie abblättern, wird genau zu beobachten sein
Je mehr es die staatlichen Organe mit Personengruppen zu tun haben, die besonders schutzbedürftig sind bzw. deren Freiheitsgrade eingeschränkt sind, desto mehr sind sie verpflichtet, diese Menschen von Gewalt zu schützen. Hierbei ist es auch notwendig, Organisationsversagen zu verhindern
Es ist einerseits beobachtbar, dass die Verwaltung keine klaren politischen Aufträge bekommt und dann selbst ihren Weg finden muss, andererseits feststellbar, dass die Verwaltung durch weisungswidriges Handeln politische Aufträge deeskaliert, also in ihren Auswirkungen auf Betroffenen gewaltärmer macht
"Basisbedienstete" in der Verwaltung machen auch das, wozu sie verpflichtet sind, in hohem Ausmaß aber das, was in einer konkreten Situation machen können und machen wollen
Wenn in der Öffentlichkeit de Eindruck entsteht, dass staatliche Organe ihren Auftrag der sozialen Kontrolle nicht wirksam erfüllen, fördert diese Ängste und begünstigt politische Strömungen, die diese schüren
Das Herstellen von tatsächlicher und wahrgenommener Sicherheit ist vor allem Wissensarbeit. Defizite in der Verarbeitung vorhandener Informationen führen jedoch nur allzu leicht zu einem Zuwachs an Überwachung und Repression anstelle von Weiterentwicklungen in den Bereichen Personalentwicklung, Organisationsentwicklung und Formen der Kooperation und Vernetzung der verschiedenen Instanzen sozialer Kontrolle
Maßhaltende, intelligente, wirksame und somit gewaltarme Produktion von Sicherheit erfordert ein hohes Ausmaß an Professionalität. Tendenzen zur Privatisierung staatlicher Gewalt ist daher entgegenzutreten.