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- Fr., 24.03. , 17:00 bis 17:30 Uhr
Credition: Fluides Glauben zwischen Gott und Wissenschaft. Über das Verhältnis von Neurowissenschaften und Theologie.
- Vortrag
Hans-Ferdinand Angel
Die Frage nach dem Verhältnis von Neurowissenschaft und Theologie ist eingebettet in den umfassenderen Horizont der jahrhundertealten Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Theologie. Mit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften, in etwa ab der Zeit der Renaissance, wurde daraus immer häufiger die Frage nach dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist die: Mit dem in den letzten Jahrzehnten erfolgten gewaltigen Fortschritt der Neurowissenschaft sowie den Verwertungen ihrer Ergebnisse, etwa in Medizin, Genetik oder Künstlicher Intelligenzforschung, stellt sich die Frage mit neuer Brisanz. Sie zielt jetzt auf den innersten Kern des Selbstverständnisses des Menschen: Es geht um die möglichen Vorstellungen von Wahrheit, Freiheit, Würde sowie die ethischen Grundlagen für das Miteinander in einer Gesellschaft sowie dem Zusammenleben von Völkern und Kulturen.Credition: Dies ist der Hintergrund des Vortrags. Dieser zielt allerdings in eine andere Richtung: Das Interesse der Neurowissenschaften hat sich nämlich in den letzten Jahren zunehmend auch auf ein Phänomen ausgerichtet, das bis vor kurzem vor allem in den Domänen von Theologie und Philosophie beheimatet war, nämlich auf Glaube. Dabei traten unerwartete Einsichten zutage. Bevor diese in den Blick kommen konnten, war allerdings ein tiefgreifender Perspektivenwechsel erforderlich. Er ließ erkennen, dass bislang (religiöser) Glaube in der Wissenschaft häufig so thematisiert wurde, als sei er statisch (state of mind) und in erster Linie inhaltlich geprägt. Zum Verständnis eines solchermaßen konturierten (religiösen) Glaubens kann die Neurowissenschaft kaum etwas beitragen. Mittlerweile hat sich das Interesse aber auf die inneren Vorgänge während des Glaubens (while believing) gerichtet. Diese werden in der Wissenschaft Creditionen genannt. Doch wie kam es dazu, dass der Mensch glauben kann? Es scheint sich zu erhärten, dass die außergewöhnliche menschliche Fähigkeit, glauben zu können (capacity of believing) im Verlauf der Evolution zusammen mit der Entwicklung des Gehirns entstanden ist. Humans are hardwired for creditions. Glaubensvorgänge sind eine Gehirnfunktion. Sie sind hochgradig komplex und spielen sich in erheblichem Ausmaß subliminal ab, sind also dem Bewusstsein nur teilweise zugänglich. Ein Verständnis von Creditionen ermöglicht auch der Theologie völlig neue Chancen der Kommunikation über Glauben und seine je individuellen Ausprägungen. Dabei wird sich vor allem auch die Frage stellen: Welche Konsequenzen resultieren daraus für die Frage nach dem Verhältnis von Religion(en) und individueller menschlicher Religiosität?
Hans-Ferdinand Angel studierte Latein, Theologie und Geschichte in Regensburg und Paris. Seine Dissertation beschäftigte sich mit Naturwissenschaft und Technik im Religionsunterricht, seine Habilitation mit Der religiöse Mensch in Katastrophenzeiten. 1994 Privatdozent an der Universität Regensburg, 1996 Professur an der TU Dresden, 1997 Professur an der Karl-Franzens Universität Graz. Seit 2011 Leiter des internationalen und interdisziplinären Credition Research Project https://credition.uni-graz.at/de/. Publikationen: Processes of Believing: The Acquisition, Maintenance, and Change in Creditions (Springer 2017; als Herausgeber); Credition: An Interdisciplinary Approach to the Nature of Beliefs and Believing. Special issue (Frontiers in Behavioral Neuroscience; als Mitherausgeber 2021): https://www.frontiersin.org/research-topics/23734/credition---an-interdisciplinary-approach-to-the-nature-of-beliefs-and-believing; Credition. Fluides Glauben (Deutscher Wissenschafts-Verlag 2022).
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