- 11.03.2019 in Rückblick
Symposion Dürnstein 2019 - Nachbericht
Pressenachbericht
Das Stift Dürnstein war am vergangenen Wochenende wieder Schauplatz des hochkarätigen Symposion Dürnstein, das bereits zum achten Mal nationale und internationale Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, Religion und Philosophie in die Wachau führte. Unter dem Titel „Demokratie! Zumutung oder Zukunft“ stand das hochaktuelle Thema Demokratie und ihre ungenutzten Potenziale im Mittelpunkt der Diskussionen.
Mit der renommierten Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot und dem Präsidenten des Forum Alpbach Franz Fischler startete unter der Moderation von Claudia Reiterer (ORF) das Symposion am Donnerstagabend vor dem ausverkauften Prälatensaal des Stiftes. Franz Fischler betonte, dass die Probleme unserer Zeit auf nationalstaatlicher Ebene nicht mehr zu lösen seien und plädierte für eine Aufwertung der demokratischen Instrumente auf europäischer Ebene. Ulrike Guérot sprach sich für eine Europäische Republik aus, denn im Gegensatz zum Binnenmarkt oder der Währungsunion gäbe es keine institutionalisierte europäische Demokratie.
Mit den Versprechen und der Fragilität der Demokratie befasste sich Hans Vorländer vom Zentrum für Verfassungs- und Demokratieforschung der TU Dresden. Er betonte, wie wichtig funktionierende Institutionen für die Demokratie seien, um ihre Legitimität und Legalität zu sichern. Darüber hinaus seien Kooperation, Vertrauen und Verlässlichkeit wichtige Grundlagen für gemeinschaftliches Handeln und für die Teilhabe und Partizipation der Bürgerinnen und Bürger.
Ingolfur Blühdorn vom Institut für Gesellschaftswissenschaften und Nachhaltigkeit an der WU Wien legte dar, dass die Demokratie von ganz unterschiedlichen Seiten in Zweifel gezogen werde. Einerseits sei der Umbau des demokratischen Systems von rechtspopulistischer Seite – auch in Österreich – zu beobachten. Andererseits seien die Ansprüche und Erwartungen an Freiheit und Selbstbestimmung sehr hoch, die modernen Freiheitsverständnisse seien jedoch mit Klimaschutz und Demokratie nicht immer vereinbar. „Demokratie wird von den Eliten, Rechtspopulisten wie von der gesellschaftlichen Mitte als Instrument verteidigt, um steigende Ungerechtigkeiten zu organisieren und legitimieren“, so sein Fazit.
Auf unterschiedliche Ausformungen von Demokratie und ihre Defekte ging die Politikwissenschaftlerin Irene Etzersdorfer von der Donau-Universität Krems in ihrem Vortrag ein und wies darauf hin, dass viele Staaten nicht eindeutig als Demokratie bezeichnet werden könnten, weswegen die Politikwissenschaft Begriffe für hybride Staatsformen finden müsse.
Wie Demokratie mithilfe der digitalen Möglichkeiten in die Zukunft getragen werden könnte, führte Maximilian Stern vom Staatslabor Schweiz aus. Nirgends sei die Politik so komplex wie im Digitalen, so sein Statement. Die ständige Kreation von neuen Begriffen und Tools führe zu einer Überforderung und mache den Blick in die Zukunft schwierig. Jedoch würden die digitalen Mittel viele Potentiale in sich bergen, die bis dato von der Politik nicht ausreichend genützt würden, zum Beispiel auch in der Verwaltung und in Beteiligungsprozessen.
Die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi von der Universität Paderborn titelte ihren Vortrag „Islam versus Demokratie oder islamische Demokratie“. Nach dem Koran müsse der Mensch die Verantwortung für die Welt und das gute Zusammenleben übernehmen. Viele Stellen im Koran würden zeigen, dass die gemeinsame Beratung unter Gleichen bereits in der Frühzeit des Islam selbstverständlich war. Weder würden die koranischen Quellen eine absolute Monarchie wie in Saudi-Arabien noch eine Herrschaft der Theologen wie im Iran legitimieren.
Moderne Demokratien zeichneten sich durch pluralistische Meinungen und Religionen aus. Für Maria Anna Heimbach-Steins vom Institut für Christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster sind der Schutz und die Umsetzung der Religionsausübung ein Gradmesser für den demokratischen Zustand eines Landes.
VertreterInnen unterschiedlichster Religionen, aber auch agnostischer Positionen versammelten sich zur Abschlussdiskussion am Freitagabend, in der auf Religion als wichtige kulturelle Ressource hingewiesen wurde. Am Beispiel der Diskussion um den Karfreitag als Feiertag für evangelische ChristInnen wurde deutlich, dass Religionen eine alternative Orientierung zur vorherrschenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche sein können.
Den zweiten Symposions-Tag eröffnete der renommierte britische Soziologe Colin Crouch, der v. a. mit seiner Publikation „Postdemokratie“ (2005/deutsche Erstausgabe 2008) für Diskussionsstoff sorgte. Nach wie vor bewegten wir uns in Richtung postdemokratischer Gesellschaften. Die größten Kräfte unserer heutigen Politik seien der Neoliberalismus und der Populismus – beide aber seien Gefahren für unsere Demokratien. Crouch nannte den Einfluss von Unternehmen auf die Politik als kritisch, ebenso wie die Dominanz der Marktwirtschaft durch große Finanzkonzerne. Kritisch sei auch zu sehen, dass es immer wieder Personalrochaden zwischen Politik und Großbanken gebe. Er wies darauf hin, wie wichtig Institutionen und Gewaltentrennung für die Demokratie seien. Aktuell hätten einige Staaten Probleme mit den Einrichtungen der Justiz, da diese die Machtansprüche insbesondere von populistischen PolitikerInnen „störten“.
Über die Bemühungen, den demokratischen Prozess in Afghanistan voran zu treiben, sprach Suraya Pakzad, Gründerin von Voice of Women of Afghanistan. Pakzad, die das Publikum mit ihrem Engagement für die Einbindung und Rechte von Frauen in die Weiterentwicklung des demokratischen Projekts in Afghanistan begeisterte, wies auf Fortschritte hin, warnte aber gleichzeitig davor, dass der Einfluss der Taliban wieder im Wachsen begriffen sei – derzeit seien rund 60% des Landes von den Taliban kontrolliert. Auch werden bei den Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban weder die gewählte Regierung Afghanistans noch VertreterInnen der Frauen Afghanistans mit einbezogen.
Mit Beispielen aus der Praxis zeigten Nonno Breuss (Schäfer&Breuss Organisationsentwicklung) und Barbara Strauch vom Zentrum für Soziokratie, in welcher Form BürgerInnen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden können. Nonno Breuss nannte das Vertrauen in die „Weisheit der Gruppe“ als wichtigen Erfolgsfaktor, Barbara Strauch erwähnte als Beispiele für die erfolgreiche Anwendung der Methode der Soziokratie für die Findung gemeinsam akzeptierter Lösungen u. a. Wiener Co-Housing Projekte ebenso wie Schulen, Unternehmen oder auch mittelgroße Städte (wie z. B. Utrecht).
Über Erfahrungen mit der direkten Demokratie in der Schweiz beschäftigten sich Ueli Mäder, em. Universitätsprofessor der Universität Basel sowie der Professor für Verfasssungsrecht (em.) und Politiker René Rhinow, der 1998/1999 Ständeratspräsident der Schweiz war. Die Initiative und das Referendum seien zwei zentrale Elemente der direkten Demokratie in der Schweiz, so Mäder. In jüngerer Vergangenheit hätten die Initiativvorschläge aus dem rechtskonservativen oder nationalpopulistischen Lager zugenommen: Initiativen wie „Wir wollen keine fremden Richter“ stellten eine Herausforderung für die Demokratie dar und würden die Menschenrechte und damit das Fundament der Demokratie angreifen.
Für René Rhinow braucht es neben der direkten Demokratie eine starke repräsentative Demokratie. Die Volksrechte hält er für wichtig, weil sie ein dauerndes Gespräch zwischen den Behörden und der Gesellschaft ermöglichten. Als Beispiel nannte er die Abstimmung über den Brexit: In der Schweiz würde man die Bevölkerung noch einmal dazu befragen, ohne dass dadurch die Grundfesten der Demokratie in Frage gestellt würden.
Die Philosophin Isolde Charim fragte, ob wir heute noch von einer Gesellschaft sprechen könnten, diese sei nach ihrer Diagnose tief gespalten. Es stelle sich die Frage, wie mit verschiedenen Gemeinschaften in der Demokratie umgegangen werden könne: Es brauche eine Vorstellung davon, wie Solidarität zwischen sehr unterschiedlichen Individuen befördert werden könne. Charim plädierte für Orte der Durchmischung, für geteilte Praxis und für eine gute Konfliktkultur.
„Die Beiträge zum Symposion haben gezeigt, dass Demokratie kein sanftes Ruhekissen ist. Sie ist keine Selbstverständlichkeit, sie braucht aktive Teilhabe und muss immer wieder mit Leben gefüllt werden“, zog Kuratorin Ursula Baatz ihr Resumée.
Barbara Schwarz, Geschäftsführerin der NÖ Forschungs- und Bildungsges.m.b.H. (NFB): „Wir freuen uns über den großen Erfolg des diesjährigen Symposion Dürnstein und hoffen, dass unsere Gäste Ideen und Anregungen zu einer aktiven Mitgestaltung von Demokratie mitnehmen konnten“.
Das Symposion Dürnstein 2020 nimmt das 20-jährige Bestehen des Weltkulturerbes Wachau zum Anlass, sich vom 5. – 7.3.2020 mit „Natur. Kultur. Identität. Was wir vererben“ auseinander zu setzen.
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