- 31.03.2016 in Rückblick
Symposium Dürnstein 2016 – Nachbericht
Das fünfte Symposion Dürnstein widmete sich dieses Jahr dem Thema Vertrauen in unsicheren Zeiten. Optionen für die Zukunft. Von 10. - 12. März 2016 diskutierten hochkarätige ExpertInnen unterschiedlichster Disziplinen, welche fatalen Auswirkungen der Vertrauensverlust in Wirtschaft, Demokratie, Medien und Gesellschaft nach sich ziehen kann.
Die aus New Delhi kommende Verlegerin, Schriftstellerin und politische Aktivistin Urvashi Butalia sprach im Eröffnungsvortrag über das Vertrauensverhältnis zwischen dem Staat und seinen BürgerInnen anhand dreier Geschichten aus Indien. Sie warnte, dass mangelndes Vertrauen in der Gesellschaft Brüche, Diskriminierung und Angst schüren könne. Europa, so Butalia, sei in der aktuellen Situation der Flüchtlingsbewegungen an einem entscheidenden Punkt. Sie nimmt in der europäischen Gesellschaft die Ausbreitung von Angst und Misstrauen wahr. Europa sei für viele Menschen weltweit noch immer ein Vorbild in vielen Bereichen, aber es steuere auf eine interne Vertrauenskrise zu, gab Urvashi Butalia in ihrem Vortrag zu bedenken.
Den Freitag eröffnete der Biologe und Philosoph Andreas Weber (D), der in seinen Arbeiten das Verhältnis von Mensch und Natur neu reflektiert. Entgegen den Annahmen der Evolutionstheorie liege in der Natur das Gegenteil der von uns angenommenen und von uns selbst gelebten Effizienz, nämlich verschwenderische Maßlosigkeit. Die Natur zeige ein Geben ohne Furcht vor dem Verlust der eigenen Substanz. „Vertrauen heißt Leben spenden“, so Weber, der das Publikum aufforderte, auf die Großzügigkeit des Lebens zu vertrauen.
Der Psychologe Martin Schenk (Diakonie Österreich) zeigte in seiner Antwort den sozialen und empirischen Kontext von Webers neuer Perspektive auf die Natur auf. Die Resilienzforschung sieht die Faktoren von Anerkennung und Respekt, von einer tragfähigen Beziehung sowie von Selbstwirksamkeit bestimmend für Vertrauen ins Leben. Schenk postulierte, dass Gesellschaften, in denen viele Menschen statt Anerkennung soziale Beschämung, statt tragfähigen Beziehungen Einsamkeit sowie Ohnmacht statt Selbstbestimmung erleben, durch Misstrauen zwischen den Menschen und gegenüber den Institutionen geprägt seien.
Politikwissenschaftler Anton Pelinka (A) legte dar, dass das Europa von heute nicht durch Monotheismus, Philosophie oder Recht bestimmt sei, sondern durch das, was es aus seiner Vergangenheit voll blutiger Kriege zwischen Nationalstaaten gelernt habe. Das Europa von gestern sei die Antithese des heutigen Europas, so Pelinka. Das Resultat der ernüchternden Erfahrung der Konflikte der Vergangenheit ist die Europäische Union, „das relativ beste Europa.“ Anschließend ermöglichte die Vizepräsidentin des EU-Parlaments Ulrike Lunacek (A) einen Einblick in die Organisationsstruktur und die Minimaldemokratie der Europäischen Union. Es handle sich heute nicht um eine Flüchtlingskrise, sondern um eine Solidaritätskrise auch zwischen den Mitgliedsstaaten der EU. Es mangle an politischem Willen und einem „Wir-Gefühl“ in der EU. Dies zu überwinden sei notwendig, um die EU zu stärken.
Der Nachmittag begann mit dem Vortrag von Barbara Preitler (A), die als Psychotherapeutin bei Hemayat, einem Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende, arbeitet. Menschen mit traumatischer Erfahrung erleben sich als Folge ihrer Traumata durch Folter, Krieg und Flucht immer wieder als ohnmächtig. Preitler versucht mit ihren KlientInnen verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen und zu helfen, dass sie „irgendwo auf der Welt wieder heimisch werden“. Dies sei eine wichtige Investition in die Zukunft der betroffenen Personen, aber auch der Gesellschaft, in der sie leben.
Gudrun Biffl (A), Professorin für Migrationsforschung an der Donau-Universität Krems, kommentierte Statistiken des Eurobarometer 84 von November 2015. Demnach sehen 58 Prozent der EuropäerInnen Migration als größtes Problem der Europäischen Union vor Terrorismus (24%) und Arbeitslosigkeit (17%). Sie ist überzeugt, dass „wenn die Politik das Vertrauen der Bevölkerung wieder zurückgewinnen will, ein öffentlich geführter Dialog stattfinden muss“. Im Anschluss gab Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger (A) Einblicke in die Verhältnisse in den Herkunftsländern der geflüchteten Menschen. Dabei zeigt sich, dass die Lage in Syrien und Irak geografisch, ethnisch, religiös und politisch komplex und verworren ist. Zudem gibt es in der Region ca. 7 Millionen Binnenflüchtlinge vor allem in den Kurdengebieten.
Theologin Manuela Kalsky (NL) veranschaulichte die Herausforderungen und Chancen, die Diversität mit sich bringt anhand ihrer 2007 gestarteten Initiative „Nieuwwij“, ein multimediales Projekt für die Neu-Findung eines gemeinsamen Wir in der niederländischen Gesellschaft. Sie berichtet über die Religionsentwicklung in den Niederlanden. Während bis 2020 1200 katholische Kirchen von insgesamt 1500 schließen müssen, sind nach der Religionsstatistik von 2009 in den Niederlanden 42% religionslos, und 6% sind Muslime. 24 Prozent der NiederländerInnen optieren für„multiple religous belonging“, d.h. sie suchen selbst die Form ihrer Spiritualität. Für Kalsky gilt es, gegenseitige Ängste und Vorurteile abzubauen und ein „entweder oder“ durch ein „sowohl als auch“ zu ersetzen. Dem dient auch ihr interaktives Projekt.
In der abschließenden Diskussionsrunde standen ethnische und religiöse Diversität im Zentrum der Aufmerksamkeit. Schriftstellerin Cornelia Travnicek (A) fragte nach einem gemeinsamen Wertekanon und berichtete von ihren Erfahrungen im multireligiösen Singapur. Murat Düzel (A), Leiter des Integrationsservice, Alfred Garcia Sobreira-Majer (A), Co-Leiter des Kompetenzzentrums für interkulturelles, interreligiöses und interkonfessionelles Lernen an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems, Manuela Kalsky sowie Thomas Schmidinger fragten nach Möglichkeiten einer Gemeinschaftsbildung über Religionsgrenzen hinweg. Alexis Neuberg (A), Journalist von Radio Afrika betonte, dass die Frage, ob Diversität Zukunft habe, nicht zu stellen sei, da Diversität Realität sei, die Diskussion jedoch durch versteckte Machtansprüche bestimmt sei.
Samstag Früh postulierte Heiner Flassbeck (D) - nach dem Morgenimpuls in der Stiftskirche durch Propst Maximilian Fürnsinn – dass „Geld Vertrauen sei“. Er diskutierte die unterschiedlichen Aspekte des Vertrauensverlustes in die gemeinsame Währung der EU. Vor allem stellte er heraus, dass mit Ausnahme Frankreichs sich keines der EU-Länder an den Vertrag von Maastricht gehalten habe. Diese Verletzung des Vertrauens in die gemeinsame Währungsunion belegte er anhand von Statistiken über Produktivität und Lohnentwicklungen in einzelnen EU-Ländern, u.a. in Frankreich und Deutschland. Er sprach sich nachdrücklich dafür aus, dass steigende Löhne und Investitionen in Richtung eines umweltkompatiblen Wachstums angestrebt werden sollten. „Vertrauen braucht Wissen, Information und die ehrliche Auseinandersetzung. Buchhalterische Zusammenhänge sollten viel stärker mit der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden, um die Möglichkeit für Veränderung zu schaffen“. Ökonom Ulrich Schuh (A) kommentierte und schätzte dazu die österreichische Sicht ein.
Der Berliner Kommunikationswissenschaftler Hans-Jürgen Arlt (D) betonte, dass Vertrauen die Gesellschaft vor einem Erstickungsprozess bewahre. Vertrauen ist die Basis für Kommunikation als soziale Beziehung, denn Vertrauen „ermöglicht uns in der Informations-, Entscheidungs- und Risikogesellschaft trotz Unsicherheit handlungsfähig zu bleiben. Denn wer nicht Gewalt anwenden möchte, muss kommunizieren“. Journalisten hätten eine schwierige Position, da zur Zeit die Grenzen zwischen Animation und Berichterstattung durch ökonomischen Druck verwischt würden. Er sprach sich für „einen neuen Sozialismus, eine Trotz -alledem-Strategie“ aus. Der Journalist Oliver Tanzer (A) zeigte auf, dass sich die Medien derzeit auf die negativen Aspekte, die uns umgeben, konzentrieren. Da „Angst ums Leben die höchste Handlungsfähigkeit verschafft“, förderten Berichte über Übergriffe, Missbrauch und Unsicherheit Aufmerksamkeit und daher Verkauf. Die Medien konzentrierten sich derzeit auf die negativen Aspekte, die uns umgeben. Es brauche auch für JournalistInnen wieder „mehr Zeit, um den Dingen tatsächlich nachzugehen und nachzudenken“, was Selbsterkenntnis und das Vertrauen in die anderen und sich selbst voraussetze.
Der Nachmittag war rechtlichen Fragen gewidmet. Boldizsár Nagy (HU), Professor für internationales Recht, stellte die Interdependenzen, Unsicherheiten und unklaren Regelungen zwischen Staaten und ihren beamteten VertreterInnen einerseits, den Flüchtlingen andererseits, aber auch den HelferInnen aus der Zivilgesellschaft dar. Wie die Flüchtlinge selbst betonen, gehe es um den Krieg in Syrien – aber nicht um eine Krise in Europa. Der Rechtsphilosoph Dietmar von der Pfordten (D) legte dar, dass „Recht in einen Vertrauensstrudel der immer schneller sich verändernden Gesellschaftsstrukturen gerät“. Während das Strafrecht sich wenig verändert, sind nationale und internationale Rechtsstrukturen durch den Einfluss der Politik stark veränderlich, was dem Vertrauen in internationale Rechtsnormen abträglich ist. Rechtsanwalt Georg Bürstmayr (A) analysierte unterschiedliche Ebenen des Vertrauens: Das Vertrauen zwischen Staaten sei sehr fraglich und problematisch, dagegen könnten BürgerInnen in staatliche Rechtsformen vertrauen. Er hielt fest, dass es „von unseren konkreten Erwartungen abhängt, ob ein Staat unser Vertrauen verdient“.
In der Schlussdiskussion näherten sich Gudrun Biffl (A), Georg Bürstmayr (A), Boldizsár Nagy (HU) und Dietmar von der Pfordten (D) der Frage „Vertrauen in Zeiten der Migration“ an. Sie stellten fest, dass es bei den unterschiedlichen Rechtslagen in der EU vor allem auch um eine genaue Klärung und Definition der unterschiedlichen Begrifflichkeiten (wie Integration oder Migration) gehe. Vertrauen in den Rechtsstaat hänge wesentlich an Aspekten des leaderships – analog dem Bild eines Steuermannes, der Verantwortung übernimmt, betonte Bürstmayr. Es gehe um die strikte Einhaltung der Rechtsnormen, aber auch um eine ehrliche Diskussion in der Politik, um ein angemessenes Reframing und damit Lösungsaspekte für die gegenwärtige Situation zu erreichen. Ökonomisch könnte Europa sicherlich noch mehr Flüchtlinge aufnehmen, aber es gehe nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch um kulturelle und soziale Gesichtspunkte.
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